11 August 2006

S-Bahngeschichten die Erste

Schon witzig, was man morgens in der S-Bahn so alles erleben kann.

Jeden Morgen wird die S-Bahn-Story neu geschrieben. Zumindest in meinem Kopf. Ich finde es noch recht witzig. Man ist ja schliesslich unter Menschen, die es manchmal wert sind, beobachtet zu werden. Gerade am Morgen zeigt sich oft das wahre Wesen der Mitreisenden.
Da wird laut geschnarcht, hektisch in Taschen nach wahrscheinlich vergessenen Sachen gekramt oder einfach völlig abwesend in der Zeitung gelesen.
Oder einfach nur desinteressiert ins Leere gestarrt. Genau zu diesem Typ Mensch gehöre ich in der Regel.
Lesen bringe ich irgendwie morgens nicht auf die Reihe. Dazu fehlt mir einfach das Konzentrationsvermögen.

Meistens habe ich laute Musik in den Ohren, wobei mir gerade morgens die Musikauswahl alles andere als leicht fällt. Bis ich mich da endlich mal für eine Musik entschieden habe, ist meistens die Hälfte des Weges schon rum. Aber wenn die Musik erstmal passt, denn sitze ich einfach nur zufrieden da, starre ins Leere oder wenn ich einen guten Tag habe, beobachte ich die Leute. Es ist immer wieder witzig, die gleichen Leute nur mit verschiedenen Gemütszuständen zu sehen.

Da ich meistens die gleiche S-Bahn morgens nehme, sieht man natürlich auch oft dieselben Leute. Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier.
Nur heute Morgen war es irgendwie anders. Kein bekanntes Gesicht weit und breit und ausnahmsweise mal eine ganze Menge Anzugträger aller Altersgruppen. Normalerweise gehöre ich eigentlich zu den wenigen, die im schicken Anzug in dieser Bahn sitzen.

Während ich mich also im Wagen umschaue, entdecke ich einen noch recht jungen Burschen genau gegenüber von mir, dessen Krawatte viel zu kurz gebunden ist. 'Igitt … wie sieht das denn aus'
Eigentlich ist es mir ja ziemlich egal, wie der Rest der Menschheit durch die Gegend läuft, aber in so einem Fall kann ich einfach nicht anders, ich muss einen Kommentar ablassen.
Und das gerade ich, der zwar schon fast 7 Jahre in den Job arbeitet aber gerade mal erst seit einem halben Jahr Krawatten binden kann, muss sich über die Länge der Krawatte meines Gegenübers lustig machen. Aber das Elend kann ich mir wirklich nicht länger mit ansehen.

Also nehme ich mein ganzes Selbstbewusstsein zusammen, schaue dem Jungchen gegenüber fest in die Augen und frage ihn höflich aber bestimmt im besten Hochdeutsch, ob er heute morgen zum Binden der Krawatte seinen 10 Jahre jüngeren Bruder als Mass genommen habe.
Na jetzt bin ich ja mal auf die Reaktion gespannt. Aber die bleibt einfach aus. Hat er mich nicht verstanden oder fühlt er sich nicht angesprochen?
Nach ungefähr 30 sek. folgt denn doch so was wie eine Reaktion. Ein breites Grinsen.
'OK' denke ich mir und sage erstmal gar nichts.

"Leider kann ich gar keine Krawatte binden" kommt ebenfalls im besten Hochdeutsch zurück.
"Die hatte ich noch im Schrank und da ich nachher ein Vorstellungsgespräch habe und Mama nicht da ist, musste ich die so umbinden, wie sie ist."

Na da kommen Erinnerungen in mir hoch. Ging es mir doch vor ein paar Jahren noch genauso. Ich musste auch diverse Leute fragen, ob sie mir nicht mal fix die Krawatte binden könnten und bin schliesslich auf der Suche nach einem kompetenten Binder bei meinem Grossvater gelandet.

Wir kommen so langsam ins Gespräch und er erzählt mir, dass er in einer Stunde ein Vorstellungsgespräch für eine Leerstelle hat und schon mega aufgeregt ist. Kann ich irgendwie gut nachvollziehen und ich gebe ihm noch ein paar Tipps, die sicherlich gut gebrauchen kann. Schliesslich hab ich so meine Erfahrungen, was sich Bewerben und Vorstellen betrifft.

Irgendwann kurz vor Hauptbahnhof Zürich kommen wir wieder auf seine immer noch viel zu kurz gebundene Krawatte zu sprechen und ich biete ihm an, sie ihm mal auf die richtige Länge zu binden.
Begeistert nimmt er mein Angebot an und ich mache mich ans Werk. Um uns rum sind einige schon am Grinsen und ich warte jetzt nur noch auf einen Kommentar. Aber da kommt nichts. Sind die Schweizer wohl zu schüchtern oder zurückhaltend.
Jetzt liegt es an mir und hoffe nur, dass ich das jetzt auch hinbekomme. So vor Publikum ist das schon was anderes als alleine morgens vor dem Spiegel.

Aber siehe da, beim ersten Mal genau die richtige Länge mit einem mehr als akzeptablen Knoten. Innerlich platze ich vor Stolz, nach aussen muss ich aber so tun, als wenn es das einfachste der Welt wäre.
Auch mein gegenüber ist glücklich und gemeinsam verlassen wir die Bahn, die mittlerweile am Hauptbahnhof angekommen.

Gemeinsam geht's denn noch ein Stück die Bahnhofstrasse hoch, bis er dann schliesslich Richtung seines Vorstellungstermins in eine Seitengasse abbiegen muss. Ich wünsche ihm noch alles Gute und ganz viel Erfolg und mache mich weiter auf den Weg Richtung Büro. Und das mit dem guten Gefühl, jemanden mal geholfen zu haben.

Ganz nach dem Pfadfindermotto: "Jeden Tag ein gute Tat."

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich meine da einen Trend zu erkennen:

Junge Menschen binden ihre Krawatten viel zu kurz. Alte Menschen binden ihre Krawatten viel zu lang.

Nicht immer. Aber immer öfter.

ocj

lorretti hat gesagt…

bitte ... lass es nicht zum Trend werden. Sonst verzeifel ich !
Das wäre so grausam !

Und wenn ich sämtlichen Leuten die Krawatte binden muss, aber zu kurze oder zu lange Krawatten sind so grausam für die Augen.

Kühles Blondes hat gesagt…

ja wie, keine telefonnummer erfragt? ob er die lehrstelle jetzt wegen deines kravattenhilfsprogramms bekommen hat oder nicht? :)

lorretti hat gesagt…

doch, doch ... habe ihm meine Telefonnumer gegeben und er wollte sich melden, ob die perfekt gebundene Kravatte den Ausschlag für eine Einstellung gegeben hat.

Leider habe ich aber bis heute noch nichts gehört oder gelesen. Aber sobald ich was weiss, wird es natürlich veröffentlicht.

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