31 März 2008

Meine Zeitung (Neues aus dem Tram)

Wer sich in Zürich bzw. in der Schweiz den morgendlichen und abendlichen Nahverkehr antut, wird so rein lesentechnisch alles andere als allein gelassen. Diverse sogenannte Pendlerzeitungen werden mehr oder weniger freudlos dem eh schon gestressten und Richtung Bus, Bahn oder Tram eilenden ÖV-Nutzer angeboten bzw. liegen in für diese Zeitungen vorgesehenen Behältern zur freien Verfügung rum. Auch kann es einem passieren, dass man einfach so eine Zeitung in die Hand gedrückt bekommt, ohne das man eigentlich nur das geringste Interesse dazu verspürt. Das sind dann die richtig guten "Zeitungsausträger", denen mein ganzer Respekt in dieser Hinsicht gebührt.

Was man durchaus in den frühen Morgenstunden des jeweiligen Arbeitstages beobachten kann, ist der Beliebheitsgrad der entsprechenden Lektüre. Während von der einen Zeitung noch mehr als genug Exemplare den jeweiligen Behälter bevölkern, sind andere Behälter schon fast leer und deswegen auch heiss begehrt. Und so kann es auch schon mal zu verbissenen verbalen Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehreren Reisen kommen, die sich durchaus über Minuten hinziehen können.

So auch heute an meiner Tramhaltestelle "Seebach" geschehen. Nach dem wie immer hektischen verlassen des Busses stürzten sich diverse Mitreisende zunächst wie jeden Tag auf den Zeitungsbehälter der beliebtesten Pendlerzeitung. Mir persönlich ist das relativ egal, da ich die Zeitung eh erst online im Büro lese, aber ärgerlich ist es schon, wenn eben dieser Mob durch das sinnlose nachjagen der Zeitung den Gehweg mehr oder weniger verstopfen und ich dadurch vielleicht noch die geduldig wartende Tram verpasse.

Soweit jedenfalls noch nichts Ungewöhnliches und Spektakuläres. Interessant wurde es aber, mal die Zeitungsgeier feststellen mussten, dass nicht mehr genügend Exemplare vorhanden waren. Die weniger, die noch zur Verfügung standen, waren dann auch ganz schnell weg und der Rest schaute blöd aus der Wäsche. Jedenfalls die meisten bis auf eine Person.

Jenes Individuum kenne ich schon, seit ich diese Strecke fahre. Schätzungsweise ost- oder westafrikanischer Abstammung, weiblich und ein "Fahrgestell", welches mal locker für zwei Frauen gereicht hätte. Stets zu enge Hosen und Shirts an und dabei den mehr oder weniger wohlgeformten Bauch wild voranschiebend. Die Haare zu Zöpfen geflochten und die Augen mit einem Tick zuviel blauer Wimperntusche bemalt. So kennt und liebt man sie. Auch das allgemeine Auftreten zeugt von grossem Selbstbewusstsein. Aber bei dem Äusseren braucht sie das auch definitiv.

Na jedenfalls … eben diese schwarzafrikanische Freundin meinte, dass das letzte sich noch im Zeitungsbehälter befindliche Exemplar quasi ihren Namen aufgedruckt hatte und sich so schnell wie möglich in ihren besitz begeben sollte. So wurde das Gesicht zur Faust geballt und sich mal ganz gekonnt durch die Masse geschoben. Nur leider hatte sie die Rechnung ohne eine weitere Stammfahrerin (Typ albanische Putzfrau, Mitte fünfzig, immer den leichten Geruch von Knoblauch und Essigreiniger verströmend und die Haare stets unter einem geblümten Kopftuch versteckend) dieser Strecke gemacht, die genau die gleichen Ansprüche auf diese Zeitung erhob.

Das darauf einsetzende Gezeter und Geschimpfe wurde dann auch zu einem Fest der unverständlichen Beschimpfungen. Keine Ahnung, was auf einmal für Nettigkeiten ausgetauscht wurden, aber die dabei entstandene Lautstärke der jeweiligen Drohungen und Verwünschungen liess auch den verschlafensten Pendler urplötzlich aus seinem Schlummer erwachen.

Aufgrund der kurzfristige Abfahrt des Trams konnte ich leider die muntere Diskussion nicht weiter verfolgen … dachte ich zumindest. Denn nach einigem Hin und Her konnte meine schwarzhäutige Knackwurst das letzte Exemplar erbeuten und machte sich mit tippelnden Schritten auf in Richtung Tram. Dicht gefolgt und immer noch auf Albanisch fluchend von der Essigreiniger-Dame. Und wie hätte auch anders kommen können … natürlich beide genau in den Wagen, in welchem ich bereits Platz genommen und mein Buch hervorgekramt hatte.

Die Lautstärke hatte mittlerweile die einer startenden Boing 747 angenommen, die Gesichter waren zu starren Fratzen voller Wut und Enttäuschung erstarrt und die Tragödie schritt unaufhaltsam ihrem Höhepunkt zu.

Aber dann wurde dieses grossartige Improvisationstheater beendet … einfach so. Kein Urknall, keine Handgreiflichkeiten, nicht einmal mehr ein finales Machtwort eines der anwesenden Personen, welche entweder entsetzt, amüsiert oder einfach nur genervt dieses Schauspiel verfolgt hatten.

Was war passiert? Eben jene albanische Mitstreiterin fand doch tatsächliche eine der begehrten Zeitungen gleich neben sich auf einem Sitz liegend … völlig unbeachtet, fast noch jungfräulich und zur freien Verfügung. Auf einmal gab es keinen Grund mehr, wild und entschlossen um die letzte Zeitung aus dem Behälter zu kämpfen und selig liess sie sich auf ihrem Platz nieder.

In diesem Sinne … man sollte schon genau überlegen, wann es sich lohnt zu kämpfen und manchmal sollte man einfach nur abwarten und sich entspannen. Kostet weniger Energie am frühen Morgen und verringert die Gefahr eines Herzinfarktes. Aber lustig war's trotzdem … Mahlzeit

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